Zur Urlaubsabgeltung bei Langzeiterkrankung - BAG Urteil vom 07.09.2021 - 9 AZR 3/21 -

Muss der Arbeitgeber auch bei Langzeiterkrankung des Arbeitnehmers zum Ende des Urlaubsjahres auf den Verfall der Urlaubsansprüche hinwirken?

 

In der jüngsten Vergangenheit hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Befristung des gesetzlichen Urlaubsanspruches, und damit der Verfall grundsätzlich zum Ende des Urlaubsjahres, voraussetzt, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer förmlich darauf hinweist, welche Urlaubsansprüche bestehen und ihn auffordert, diesen Urlaub zu nehmen und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt.

 

Des Weiteren hat das Bundesarbeitsgericht bereits in einem Urteil aus dem Jahre 2020 entschieden, dass die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers auch dann bestehen, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist (vgl. BAG, Urteil vom 07.07.2020 – 9 AZR 401/19 -).

 

In einer aktuellen Entscheidung (BAG Urteil vom 07.09.2021 – 9 AZR 3/21; Vorinstanz LAG Berlin- Brandenburg, Urteil vom 17.11.2020 – 8 SA 182/20) hat das Bundesarbeitsgericht in Anknüpfung an die Rechtsprechung des EuGH vom 25.06.2020 (C-762/18 und C-73/19) entschieden, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch eines seit Beginn oder im Verlauf des Urlaubsjahres erkrankten Arbeitnehmers gem. § 7 Abs. 3 Satz 2 Bundesurlaubsgesetz bei ununterbrochenen Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres erlischt, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten rechtzeitig erfüllt hat.

 

Insbesondere hat das Bundesarbeitsgericht in dieser Entscheidung auch festgestellt, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch gem. § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz ebenfalls 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres erlischt, obwohl der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen ist, sofern es dem Arbeitnehmer, allein weil er bis zu diesem Zeitpunkt durchgehend krankheitsbedingt arbeitsunfähig war, nicht möglich war (vollständig) Urlaub zu nehmen.

 

In diesem Fall ist nicht die fehlende Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers, sondern die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitsnehmers kausal für die fehlende Möglichkeit des Arbeitnehmers, den Urlaubsanspruch zu realisieren.

 

Zum Sachverhalt:

 

Die Parteien des Rechtsstreits streiten über die Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2015 bis 2017.

 

Der Kläger war vom 01.11.2001 bis zum Ablauf des 31.12.2019 bei dem beklagten Arbeitgeber als Monteur beschäftigt.

 

Aus gesundheitlichen Gründen kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis, nachdem er bereits seit dem 18.11.2015 arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist.

 

Zwischen den Parteien war ein Anspruch auf 30 Urlaubstage pro Kalenderjahr vereinbart.

 

Im Jahre 2015 gewährt die Beklagte 21 Urlaubstage, in den Jahren 2016 und 2017 jeweilig keinen Urlaub.

 

Eine Aufforderung seitens des beklagten Arbeitgebers Urlaub zu nehmen, erfolgte ebenso wenig wie ein Hinweis der Beklagten auf den Verfall des Urlaubs mit Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres oder des gesetzlichen Übertragungszeitraumes.

 

Die Vorinstanzen haben die Klage auf Urlaubsabgeltung insgesamt abgewiesen.

 

Die Entscheidung:

 

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass der Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung für die Jahre 2016 und 2017 nicht besteht.

 

Das BAG führt dazu aus, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch eines seit Beginn oder im Verlauf des Urlaubsjahrs arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 Satz 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) im Falle einer andauernden Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ende des Kalenderjahres erlischt.

 

Die Befristung des Urlaubsanspruches (15 Monate) setzt jedoch voraus, dass der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs genüge getan hat.

 

Er muss insbesondere den Arbeitnehmer auffordern, den Urlaub zu nehmen und ihm klar und unmissverständlich auf den ansonsten drohenden Verfall zum Ende des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraumes in das Folgejahr hinweisen.

 

Diese Mitwirkungsobliegenheit – so dass BAG – gilt auch im Fall der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers.

 

Das BAG führt jedoch neuerlich aus, dass der fehlende Hinweis und die Missachtung der Mitwirkungsobliegenheit dann unschädlich ist, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch ohne hin nicht realisieren kann, weil er ab Beginn des Urlaubsjahres bis zum 31.03. des zweiten Folgejahres durchgängig arbeitsunfähig gewesen ist.

 

In dem hier konkret entschiedenen Fall verhielt es sich so für die Jahre 2016 und 2017.

 

Das BAG stellt dazu fest, dass die Arbeitsunfähigkeit des Klägers dafür ursächlich gewesen ist, den Urlaubsanspruch aus diesen Jahren nicht zu realisieren.

 

Die fehlende Mitwirkung hingegen sei nicht kausal.

 

Für das Jahr 2015 verbleibt die streitige Frage, ob die vorbezeichneten Grundsätze auch für den Fall Anwendung finden, dass der Arbeitnehmer zumindest teilweise hätte Urlaub nehmen können.

 

Insoweit ist fraglich, ob hier die Mitwirkungsobliegenheit ursächlich dafür gewesen ist, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub nicht vollständig erhalten hat.

 

Nach dem Sachverhalt war es im Jahr 2015 so, dass dieser erst im November des Jahres arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist. Auch hier ist ein Hinweis des Arbeitgebers nicht erfolgt.

 

Diese Frage hat das BAG in dem vorbezeichneten Urteil nicht entschieden, sondern das Verfahren diesbezüglich ausgesetzt, da ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH anhängig ist.

 

Dieser hat nun Stellung dazu zu beziehen, ob das Unionsrecht das Erlöschen des Urlaubsanspruchs bei einer ununterbrochen fortbestehenden Erkrankung des Arbeitnehmers 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahrs oder einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheit nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können.

 

Fazit:

 

Das Urlaubsrecht ist ein kompliziertes Thema und auch immer – wie sich in dieser Entscheidung zeigt – eine Sache des Einzelfalls.

 

Auch in Zukunft werden noch zahlreiche Entscheidungen zum Urlaubsrecht erwartet. Der EuGH und das BAG ist auch in Zukunft weiter damit befasst, das deutsche Urlaubsrecht an dem Unionsrecht zu messen.

 

Mit Spannung ist daher die Entscheidung zu erwarten, wie schlussendlich hinsichtlich des noch nicht entschiedenen Falls der teilweisen Möglichkeit der Urlaubsnahme und des fehlenden Hinweises des Arbeitgebers ausgeht.

 

Sobald eine neuere Entscheidung vorliegt, wird entsprechend berichtet.

 

 

Manuel Schoppe

Rechtsanwalt

 

Fachanwalt für Arbeitsrecht 

 

Quelle: BAG Urteil vom 07.09.2021 - 9 AZR 3/21 -