Verkehrsrecht - Freispruch wegen fehlender Rohmessdaten bei Leivtec XV3

Freispruch wegen fehlender Rohmessdaten bei Messgerät Leivtec XV3

 

 

 

Urteil des Amtsgericht St. Ingbert vom 26.04.2017 – 2 OWi 379/16 –

 

Das Amtsgericht St. Ingbert – Richter in Bußgeldsachen – hat den Betroffenen in dem vorgenannten Verfahren von dem Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung wegen fehlender Rohmessdaten freigesprochen. Dazu im Einzelnen:

 

Dem Betroffenen wurde vorgeworfen als Führer eines Pkw die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossenen Ortschaften um 33 km/h nach Kulanzabzug überschritten zu haben. Die Messung wurde mit dem Messgerät Leivtec XV3 gem. den Vorgaben der Betriebsanleitung und der PTB durchgeführt. Die entsprechende Eichung war vorhanden. Bei dem verwendeten Messgerät ist eine neue Software-Version, Leivtec 2.0, installiert.

 

Das Amtsgericht St. Ingbert hat festgestellt, dass im Gegensatz zur Software-Version 1.0, bei der sämtliche Messpunkte gespeichert wurden, bei der Version 2.0 nur die Werte „Messung Start/Distanz“, „Messung Ende Distanz“, „Auswertung Start Distanz“ und „Auswertende Distanz“ sowie die „Auswertezeit“ gespeichert werden. Bei der Version 1.0 waren während des Messverlaufs sämtliche vom Gerät ermittelten Messwerte gespeichert worden, durch welche sich eine Plausibilitätsprüfung der angezeigt Geschwindigkeit führen ließ. Nach der Softwareerneuerung ist eine solche nicht mehr möglich.

 

Der Betroffene hat in dem Verfahren die Verwertbarkeit der Messung mit der Begründung bestritten, dass durch eine Softwareerneuerung während der Messung erhobene Daten nicht mehr gespeichert werden, so dass eine unabhängige Auswertung der Messung durch einen Sachverständigen nicht mehr möglich sei. Dem ist das Amtsgericht St. Ingbert gefolgt. In der Software-Version Leivtec 1.0 seien weitere Daten, nämliche sämtliche im Verlauf der Messung erhobene Werte, gespeichert worden. Mit diesen Daten konnte anhand einer Regressionskurve eine nachvollziehbare Plausibilitätsprüfung der vom Messgerät angezeigten Geschwindigkeit vorgenommen werden. In der neuen Software-Version 2.0 werden diese zusätzlichen Daten nicht mehr gespeichert, sondern mit Nullen überschrieben, so dass eine sogenannte Regressionskurve anhand derer sich durch Auswertung der einzelnen Messpunkte die Geschwindigkeitsermittlung in einer Kurvenbildung nachprüfen ließ, nicht mehr gebildet werden kann und eine Plausibilitätsprüfung nicht mehr möglich ist.

 

Nach den getroffenen Feststellungen, war der Betroffene nach Auffassung des Gerichts freizusprechen, da die tatgegenständliche Messung nach Ansicht des Gerichts mangels hinreichender Prüfbarkeit und dem daraus folgenden Verstoß gegen das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren kein taugliches Beweismittel darstellt. Das Gericht führt aus, dass, um eine technische Messung sinnvoll angreifen und mögliche Fehler aufzeigen zu können, es daher rein denklogisch schon der Überprüfungsmöglichkeit der Messdaten bedarf.

 

Das Gericht geht weiter davon aus, dass – entgegen der Ansicht anderer OLG – ein Anspruch auf Herausgabe der Rohmessdaten besteht, da dem Betroffenen im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens auferlegt wird, konkrete Anhaltspunkte für Messfehler oder einer Fehlmessung darzulegen, damit das Gericht einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht als Ausforschungsbeweis ansehen und diesen nach § 77 Abs. 2 OWiG ohne weiteres ablehnen kann. Dazu bedarf der Betroffene aber zwingend Einsicht in die Rohmessdaten, um die Messung auf ihre Ordnungsgemäßheit zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen. Anderenfalls befände sich der Betroffene in einem nicht aufzulösenden Teufelskreis, da er – sofern man der Ansicht des OLG Bambergs folgen würde – konkrete Umstände für eine fehlerhafte Messung vortragen zu müssen, ohne die Messung – insbesondere die Messdaten – überhaupt zu kennen, die ihn erst in die Lage versetzen kann, konkrete Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung vorzutragen.

 

Das Gericht führt weiterhin aus, dass dies auch nicht dem Prinzip des standardisierten Messverfahrens widerspricht, denn die Herausgabe wird der Betroffene lediglich in die Lage versetzt, im Vorfeld einer Hauptverhandlung eine Messung durch einen von ihm beauftragten Sachverständigen überprüfen zu lassen. Da während der Messung bis zu 150 einzelne Messwerte gebildet, aber letztlich lediglich die vorgenannte Werte gespeichert werden, ist eine sinnvolle Überprüfung nur dann möglich, wenn die weiteren Daten ebenfalls zugänglich sind, da damit eine Strigenz der Messung aufgezeigt werden kann, die – wie vom Sachverständigen dargestellt – eine Regressionskurve anschaulich aufzeigt. Dies ist aber mit der Version 2.0 nach der Erneuerung nicht mehr möglich.

 

Nach Ansicht des Gerichts wird damit der Betroffene so massiv in seinen Verteidigungsmöglichkeiten beschränkt, dass nicht mehr von einem tauglichen Beweismittel ausgegangen werden kann.

 

Des Weiteren hat der Sachverständige ausgeführt, dass es ohne weiteren Aufwand technisch einfach realisierbar gewesen wäre, die weiteren Messdaten, die vom Hersteller als Simulationsdatei bezeichnet werden, abzuspeichern. Insofern wäre es durch einen unabhängigen Sachverständigen ohne weiters möglich, eine entsprechende zielführende Überprüfung vorzunehmen.

 

Bei dieser Sachlage fehlte es nach Ansicht des St. Ingbert an einem tauglichen Beweismittel für die den Beschuldigten zur Last gelegten Geschwindigkeitsüberschreitung, daher war der Betroffene aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.

 

Quelle: Urteil des Amtsgerichts St. Ingbert vom 26.04.2017 – 2 OWi 379/16 –

 

Manuel Schoppe

Rechtsanwalt

 

Nesbit I Böggemeyer I Schoppe

Ihre Rechtsanwälte in Coesfeld und Havixbeck