Verkehrsrecht - Besteht tatsächlich regelmäßig ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Fahrradhelms im Straßenverkehr?

Besteht tatsächlich regelmäßig ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Fahrradhelms im Straßenverkehr?

 

Vor gut einem Jahr – am 05.06.2013 – hat das OLG Schleswig entschieden, dass sich bei einem Verkehrsunfall der Geschädigte grundsätzlich ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Fahrradhelms anrechnen lassen muss.

 

Der vorgenannten Entscheidung zum Sachverhalt zu Grunde:

 

Der Geschädigte hat als Radfahrer im öffentlichen Straßenverkehr einen Unfall erlitten. Dieser fuhr mit ihrem Fahrrad eine Straße entlang, wobei er keinen Fahrradhelm trug. Der Schädiger hat sein Fahrzeug am rechten Fahrbahnrand geparkt und öffnete unmittelbar vor dem sich nähernden Geschädigten die Fahrertür, um auszusteigen. Die Geschädigte konnte nicht mehr ausweichen fuhr gegen die Fahrertür, stürzte zu Boden und fiel auf den Hinterkopf. Dadurch zog er sich schwere Schädel-Hirnverletzungen Verletzungen zu.

 

Das OLG Schleswig hat seine Entscheidung darauf begründet, dass der Geschädigte keinen Fahrradhelm getragen und damit Schutzmaßnahmen zu seiner eigenen Sicherheit unterlassen hat, sowie auf der Tatsache, dass ein Anscheinsbeweis für einen Kausalzusammenhang zwischen Nichtbenutzung des Fahrradhelms und der eingetretenen Kopfverletzungen spricht, wenn ein Radfahrer bei einem Unfall – wie im vorliegenden Fall – Kopfverletzungen erleidet, vor denen der Helm gerade schützen soll.

 

Das Gericht trat der bisher herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung entgegen, dass das Radfahren ohne Schutzhelm bei einer Kopfverletzung durch einen Sturz den Vorwurf des Mitverschuldens eines Radfahrers nicht begründet, wenn er am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen.

 

Das Gericht lehnte das Hauptargument derjenigen ab, die bei dem Fehlen einer gesetzlichen Verpflichtung zum Tragen eines Helmes ein Mitverschulden nicht sehen. Als Begründung führte das Gericht aus, dass der BGH in ständiger Rechtsprechung ein Mitverschulden des angenommen hat, wenn dieser "diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt". Es handelt sich somit um ein Verschulden gegen sich selbst.

 

Das Gericht führte weiterhin eine Entscheidung aus dem Jahre 1976 an, welches ein Mitverschulden bei Fahren eines Motorrades ohne Helm gesehen hat, weil auch schon zum damaligen Zeitpunkt, obwohl keine Helmpflicht bestand, ein so genanntes "allgemeines Verkehrsbewusstsein" in der Bevölkerung sich dahingehend gebildet hatte, dass einem Schutzhelm große Bedeutung zur Abwehr und Minderung von Unfallverletzungen zukam.

 

Weiterhin geht das Gericht davon aus, dass es auch nicht darauf ankommt, ob es sich um das Fahren mit dem Fahrrad als so genannter Freizeitfahrer, oder aber im Bereich sportlicher Betätigungen handelt. Eine Differenzierung zwischen Personengruppen, die das Fahrrad nur als Fortbewegungsmittel im öffentlichen Straßenverkehr nutzen und sportlich ambitionierten Fahrern, sah das Gericht nicht.

 

Im konkreten Fall sah das Gericht ein Mitverschulden in Höhe von 20 % an.

 

Das OLG Schleswig hat sich mit dem Urteil von der bisherigen herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung abgesetzt. Überwiegend wurde daraus geschlossen, dass in der Praxis aufgrund dieser Entscheidung regelmäßig mit einem Mitverschuldenseinwand des Haftpflichtversicherers zu rechnen sei. Jedoch ist zu beachten, dass das OLG Schleswig die Revision zugelassen hat. Es bleibt abzuwarten, wie der Bundesgerichtshof zu dieser in der obergerichtlichen Rechtsprechung streitigen Frage entscheiden wird.

 

Jüngst ist jedoch ein Urteil des Amtsgerichts Wesel ergangen, welche sich mit dem vorgenannten Urteil des OLG Schleswig auseinandergesetzt hat und im konkreten Fall keine Mitschuld des Geschädigten aufgrund Nichttragens eines Fahrradhelms gesehen hat. Dem von dem Amtsgericht zu entscheidende Fall lag der Sachverhalt zu Grunde, dass ein 72-jähriger Radfahrer, der sich ohne Helm im Straßenverkehr bewegte, mit einem entgegenkommenden Fahrradfahrer kollidierte.

 

Das Amtsgericht Wesel stellte zunächst fest, dass das Tragen eines Fahrradhelms geeignet ist, Kopfverletzungen von Radfahrern zu verhindern oder abzumildern. Das Amtsgericht stellte weiterhin fest, dass eine gesetzliche Pflicht zum Tragen eines Fahrradhelms existiere. Das erkennende Gericht ging zudem weiter mit der Rechtsprechung des OLG Schleswig konform, dass die Annahme eines Mitverschuldens gemäß § 254 Abs. 1 BGB nicht deshalb ausgeschlossen sei, weil eine gesetzliche Pflicht zum Tragen eines Patents nicht existiere. Denn ein Verschulden im Sinne dieser Vorschrift meint nicht die rechtswidrige Verletzung einer gegenüber anderen oder der Allgemeinheit bestehenden Rechtspflicht, sondern ein vorwerfbarer Verstoß gegen Gebote des eigenen Interesses, mithin ein "Verschulden gegen sich selbst". Das Amtsgericht Wesel führte jedoch weiterhin aus, die vorgenannte Rechtsprechung – nicht zuletzt aufgrund des grundgesetzlichen Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips – Rücksicht auf die fehlende Regelung durch den Gesetzgeber nehmen und dementsprechend bei der Annahme einer Obliegenheitsverletzung Zurückhaltung walten lassen muss. Weiterhin sei festzuhalten, dass ursächlich für eine erhöhte Zahl von Verkehrstodesopfern aufgrund von Fahrradunfällen, vor allem in der hier streitgegenständlichen Altersgruppe von unter 15 bis über 65 -jährigen, auch auf eine größere Verbreitung des Verkehrsmittels Fahrrad sei. Eine besondere Gefährdung von unter 15 -jährigen oder über 65 -jährigen aufgrund eventueller motorischer oder psychologische Defizite, die ein Ausschluss des Mitverschuldens feststellen lassen, ist zweifelhaft, da dieser Annahme die erforderliche hinreichende Datenbasis fehlt.

 

Weiterhin sei die Rechtsprechung des OLG Schleswig auf den konkreten Fall nicht übertragbar, da sich der Fall im Wesentlichen von dem erkennenden Gericht zu entscheidenden Fall unterscheidet. Indem von dem OLG Schleswig zu entscheidenden Fall hat sich der Geschädigte auf einer Kraftfahrtstraße bewegt und der Unfall hat sich mit einem Kraftfahrzeug geeignet. Das Amtsgericht Wesel war der Ansicht, dass wenn sich ein Radfahrer auf einem vom Kraftfahrzeugverkehr getrennten Radweg bewegt, die Gefahren, die aus dem Nichttragen eines Helms für seine Gesundheit erwachsen können, generell niedriger einstufen sind, als wenn er sich im Kraftfahrzeugverkehr bewege.

 

Anmerkung:

 

Nach der vorgenannten Entscheidung ist festzustellen, dass aufgrund der Entscheidung des OLG Schleswig das Mitverschulden wegen Nichttragen eines Fahrradhelms nicht einheitlich bewertet werden kann, sondern immer eine Einzelfallentscheidung voraussetzt. Interessant wird sicherlich sein, wie der Bundesgerichtshof in dieser Sache entscheidet. Es bleibt zudem abzuwarten, ob die dann ergangene Entscheidung Auswirkungen auf die Debatte über die Einführung einer gesetzlichen Helmpflicht Fahrradfahrer hat.

 

 

Manuel Schoppe, LL.M.

Rechtsanwalt

 

Nesbit I Böggemeyer I Schoppe

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Quellen:          OLG Schleswig, Urt. v. 05.06.2013 – 7 U 11/12

                        AG Wesel, Urt. v. 09.01.2014 – 5 C 56/13